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​Katalogtext  zu "Royal Flash" , Gemeinschaftsprojekt mit Thomas Kitzinger, 2006

 

Stephan Berg   

NAH UND FERN

 

Einerseits: Bilder, hinter deren kühlen, perfekt glatten Oberflächen sich die Formen so plastisch bauchen und wölben, als wollten sie die Bildfläche durchstoßen und den Raum erorbern, und dabei gleichzeitig darauf beharren ganz für sich und in sich bleiben. Andererseits: Objekte, die sich an der Wand flach machen und doch hinter ihren glänzenden Farbfronten ganz unmißverständlich ihr körperliches Volumen ausspielen. Geht das zusammen ? Kann das gut gehen ? Ganz deutlich gesagt: Es ist eine ideale Paarung. „Royal Flash“ haben Günther Holder und Thomas Kitzinger ihr Gemeinschaftsprojekt genannt, und mit einem Schlag alle möglichen Bedenken weggewischt, die man gemeinhin gegenüber solchen Tandem-Projekten hegt. Dies ist endlich einmal nicht eine dieser aus der Not geborenen Ausstellungsallianzen, bei der einer den anderen auf ein Terrain mitzieht, auf dem dieser weder etwas zu suchen noch zu gewinnen oder zu verlieren hat. Hier geht es, in einer fast schon kuratorisch zu nennenden, bestechenden Engführung bei beiden um das Ganze, und also um eine Herausforderung, bei der das Risiko hoch, der mögliche Gewinn deshalb aber auch umso schöner ist.

Im Zentrum dieser Ausstellung, dieser Kollaboration und dieses Kataloges steht die Frage wie weit ein Bild oder eine Skulptur sich in sich selbst zurückziehen kann, ohne den Kontakt zum Außen, zum Draußen zu verlieren. Oder anders gesagt: Wie balanciert das Kunstwerk zwischen dem immateriellen Raum, den es selbst erzeugt, und dem materiellen Raum, in dem es sich befindet ? Wenn man die Arbeiten Holders und Kitzingers in ihrer klugen Verschränkung betrachtet, wird sofort deutlich, auf welcher Ebene die Bearbeitung dieser Problemstellung erfolgt: nämlich dort, wo der autonome Raum des Werks und der reale Umgebungsraum sich berühren: auf der Oberfläche der Bilder und Objekte. Beide Künstler haben sich mit der Bedeutung der Oberfläche nicht nur intensiv beschäftigt, sondern dieses Thema zu einem wesentlichen Angelpunkt ihrer Arbeit gemacht. Bei Holder sind hier insbesondere die 2000/01 entstandenen „Full Stops“ zu nennen: Aluminiumgüsse, die in kreisrunden Messingformen zu opaken Spiegeln aushärten, und - zwischen kompositorischer Setzung und aleatorischem Geschehenlassen - dabei vor allem ihre eigene Undurchdringlichkeit bespiegeln. Und Kitzingers gesamte Arbeit - von den Tellern über die Metro-sitzschalen, die Becher, Luftballons, bis hin zu den Agaven oder Kakteen - ist geradezu durchdrungen von dem Begehren malerische Oberflächen zu schaffen, die einerseits die Dinge so nah an uns heranholen, dass sie greifbar erscheinen, und uns gleichzeitig doch vollständig entzogen bleiben.

Es geht also in beiden Fällen um die Dialektik der Oberfläche, um das Spiel zwischen Fläche und Tiefe, um das Zugleich von Nähe und Ferne, wobei die unhintergehbare Materialität der Holderschen Stücke sozusagen die Motive Kitzingers substanzialisiert, und umgekehrt die Ungreifbarkeit der malerischen Bildfindungen auch die Holzobjekte ein Stück weit virtualisiert. Das Schöne an diesen dialektischen Kippbewegungen ist: Man muss sie nicht mühsam behaupten, man kann sie sehen, wenn man vor den Arbeiten steht. Nehmen wir beispielsweise diese Konstellation, in der vier Agavenbilder von Thomas Kitzinger zusammen mit einem dunkelroten „Waldstück“ von Günther Holder eine fragile, hybride Verbindung zu einem größeren Bildrechteck eingehen. Das ist ein meisterhaftes Zugleich von sinnlich-üppiger, schwellender Nähe, die sich uns entgegenwölbt, uns mit den krakenartigen Agavententakeln und der fast feucht schimmernden, bauchigen Oberfläche des von lasierenden Farbschichten überzogenen Holzstückes anlockt, und uns doch, kaum sind wir so weit, uns retinal völlig hinzugeben, kühl und nüchtern an einem Außen abtropfen lässt, das partout von seinem Inneren nichts preisgeben will.

Ja, es gibt diesen Minimal-Bezug in beiden Arbeiten, dieses Beharren auf einer autonomen, unverfügbaren Eigenlogik des Werkes, aber es ist kein Kernanliegen mehr, und kann es in dieser puren Form auch heute nicht mehr sein. Stattdessen zählt für Beide das Dazwischen, diese merkwürdige Zone, in der das Kunstwerk sich zu seinem eigenen Paradox macht, in der es die Nähe zur Welt und zum Betrachter, die es herstellt, gleichzeitig wieder dementiert.

Und auch deswegen sind die Oberflächen dieser Arbeiten so wichtig aber auch so tückisch, dass man auf ihnen wie auf einer zu glatten Eisfläche ausrutschen kann: Weil sie wie eine Membran und gleichzeitig wie eine luftdichte Schicht funktionieren, die den Austausch zwischen Innen und Aussen sowohl herstellen wie verhindern. Aus mehreren Öl- und Lackschichten entsteht eine Farbhaut , die sich in Günther Holders Arbeiten auf die präzise aus Baumstämmen (oder aus früheren Arbeiten) gesägten Holzrechtecke legt und einen eigentümlichen Doppeleffekt ergibt: Zum einen lässt die glänzende Farboberfläche jede Nuance, jede Verletzung und jedes Strukturmerkmal des Baumstammes hervortreten und sorgt so für eine Art Hypersichtbarkeit. Zum anderen aber versiegelt die Farbe auch das, was sie zeigt, schließt es ein in seiner bonbonbunten Künstlichkeit.

Eben diese Doppelstrategie lässt sich auch in den Arbeiten Thomas Kitzingers beobachten. Zum einen wählt der Künster seine Motive stets so, dass sie sowohl gegenständlich wie auch abstrakt begriffen werden können, und folglich schon auf dieser Ebene als Kippfigur zwischen mimetischer Verfügbarkeit und radikaler Selbstbezüglichkeit funktionieren. Diese Ambivalenz wird noch durch den steten Wechsel zwischen farbiger und schwarzweißer Ausführung der Bildtafeln gesteigert. Wie in einer Versuchsanordnung führt uns Kitzinger vor, wie sich das suggestive Verführungspotenzial des Bildangebots durch die Verwendung von Farbe oder die Entscheidung für eine monochrome Palette wechselweise anheizen oder abkühlen lässt. Und schließlich, und hier gibt es eine ganz deutliche Parallele zu Günther Holder, suggeriert der räumlich-plastische Illusionismus der Motivformen eine Greifbarkeit und körperliche Aufgeladenheit, die in scharfem Kontrast steht zu der wiederum wie versiegelt wirkenden – tatsächlich mit Hilfe von Rasierklingen hergestellten – spiegelnden Flachheit und Glätte der Bildhaut.

Produktiv wird die Kombination der beiden Werkansätze darüber hinaus durch die vergleichbare Entschiedenheit, mit der beide Künstler die Frage der Bild- und Objektbegrenzung thematisieren. Analog zu den scharfen, mit chirurgischer Präzision geführten Schnitten, mit denen Günther Holder seine Objektstücke aus den Baumstämmen sägt, legt auch Thomas Kitzinger seine Bildfelder so an, dass das Ausschnitthafte, das im Wortsinn Herausgeschnittene im Vordergrund steht. In beiden Fällen verweisen diese herauspräparierten Teilstücke nicht mehr so sehr auf den Kontext, aus dem sie entnommen wurden, als auf ihr strukturelles Für-Sich-Stehen, auf ihre gezielte Entfremdung von dem Fundament, aus dem sie stammen. Günther Holder unterstreicht das durch die extrem künstliche, naturferne Farbigkeit, mit der er seine Holzoberflächen belegt, und Thomas Kitzinger straft den scheinbaren Verismus seiner Kakteen oder Luftballons Lügen, indem er ihnen jeglichen natürlichen oder nachvollziehbaren Kontext verweigert, und sie auswegslos in pechschwarzen oder jedenfalls abstrakt monochromen Hintergründen schweben lässt.

Es ist nicht zuletzt diese Kombination aus Ausschnitthaftigkeit und De-Kontextualisierung, die dafür sorgt, dass wir diese Arbeiten auch als widerprüchliche Reflexionen über das Moment der Lücke begreifen. Allem Oberflächenleuchten und aller plastischen Dehnung in den Raum hinein zum Trotz, sind sie immer auch zu einem nicht geringen Teil Arbeiten an und in der Leere.

 

 

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