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Katalogtext "Waldstücke", 2006

 

Nikolaus Bischoff,

Metamorphosen des Materials

 

"Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie." Albrecht Dürer, Vier Bücher von menschlicher Proportion

 

Günther Holders neueste Arbeiten behaupten sich im Spannungsfeld zwischen Malerei und Skulptur; sie sind gleichzeitig Ding und Bild. In ihnen verbindet sich die taktile Qualität der Skulptur mit der optischen Sensibilität der Malerei zu einer beide Gattungen reflektierenden Ausdrucksform.

Ausgangsmaterial der „Waldstücke“ sind rechteckige Holzsegmente, die der Künstler aus Baumstämmen herausschneidet. Sein Vorgehen gleicht einer Befundsicherung, bei der die Spuren, die der Wuchs des Baumes, das wechselnde Klima oder Insekten auf der Oberfläche hinterlassen haben, als Aufzeichnung, als Selbstbeschreibung der Wirklichkeit zum integralen Bestandteil der künstlerischen Arbeit werden. Nach der Festlegung des Ausschnitts und dem Setzen präziser Schnittkanten wird die Oberfläche gesäubert und mit einer weißen Grundierung versehen. Dabei bleiben die Ränder unbehandelt. Sie zeigen das Innere des Stammes und legen damit seine Geschichte und Anatomie frei. Hier wird eine Idee von Stofflichkeit vermittelt, die Natur als ein sich selbst organisierendes, sich selbst formendes System begreift. Erst das Herauslösen des Holzsegments aus dem Naturzusammenhang und seine Zurichtung für den Bereich der Kunst macht die Form einer Lesbarkeit zugänglich.

 

An diesem Punkt des Herstellungsprozesses beginnt die malerische Auseinandersetzung mit der Oberflächenstruktur des Fundstücks: Das Objekt wird zum Bild.

Die anschließend in vielen lasierenden Schichten aufgetragene Öl- und Lackfarbe dient der Verdeutlichung des Trägermaterials. Ihre Brillanz, ihr Spiel mit Licht und Schatten, hebt die Plastizität und die Zeichnung des Untergrunds hervor. Das Relief des Malgrundes wiederum bietet der Farbe ein abwechslungsreiches Terrain, auf dem sie ihre volle Leuchtkraft entfalten kann. Beim Auftragen der Farbschichten vermeidet der Künstler jegliche Handschriftlichkeit. Kein persönlicher Pinselduktus soll die Struktur des Reliefs stören.

Wie eine Haut legen sich die Farbschichten auf das Relief der Oberfläche und fungieren als Membran zwischen Innen und Außen. Sie sind einerseits Grenze zwischen Objekt und Umraum und andererseits Verbindungszone – sie sind der Ort, an dem das Material sich artikuliert. Dass Holder die bemalte Oberfläche des Holzobjekts als Malerei versteht, macht er unmissverständlich durch das Abbrechen der Farbe an den Rändern deutlich. Grundierung und einzelne Farbschichten werden nachvollziehbar, die   Handwerklichkeit des Farbauftrags wird sichtbar. Hier an den Kanten treffen Malerei und Skulptur, Kunst und Natur, ein additives und ein subtraktives Prinzip aufeinander, hier offenbart sich die dialektische Struktur der „Waldstücke“.

 

Ausgangspunkt für Günther Holders jüngste Werkphase ist eine Arbeit, die aus einer seiner frühen Holzskulpturen entstanden ist. Damals, Mitte der 90er Jahre, bearbeitete Holder mächtige Baumstämme. Er schuf monumentale Skulpturen, deren einfache und reduzierte Formensprache die Suche nach einer gültigen skulpturalen Formulierung widerspiegelte. Die Bezwingung des Materials durch den Formwillen des Künstlers sabotierte Holder allerdings selbst, indem er noch feuchtes Holz verwendete. Der vordergründig geglückte Vorgang des Gestaltens wurde hintertrieben durch das gegen die Form aufbegehrende Material. Knackend brach es die glattgeschliffene Oberfläche auf, verschaffte sich Gehör und setzte die in ihm gespeicherte Energie frei.

 

Sozusagen mit einem „Plop“ (so der Titel der später daraus entstandenen Arbeit) löste sich der Kern des Stammes ohne das Zutun des Künstlers aus der Skulptur. Ein Akt der Befreiung, der Holder offensichtlich imponiert, denn er streicht den Pfropfen in der Folge gelb an und stellt ihn 2003 bezeichnenderweise in der Ausstellung „Badischer Untergrund“ aus.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass der Künstler skulpturale Formen an der Wand präsentiert. Schon mit seinen Aluminium-Gussarbeiten thematisierte er die Bedeutungsverschiebung, die beim Kippen von der Horizontale in die Vertikale stattfindet, die die Plastik zum Bild werden lässt. Mit dem Einsatz von Farbe spitzt er das ambivalente Spiel mit den Gattungen zu. Der gelbe Anstrich hat Signalfunktion. Er verstärkt die Präsenz des Objekts, hat jedoch noch nichts mit Malerei zu tun.

Das ändert sich mit Holders nächster Arbeit, einem längs halbierten langrechteckig zugeschnittenen Baumstamm, den der Künstler horizontal an die Wand montiert. Nun bemalt er lediglich die Vorderseite des Stammes, behandelt ihn also wie eine Leinwand. Allerdings besitzt der gelbgrüne Farbauftrag noch nicht die optischen und haptischen Qualitäten der langsam aufgebauten Lasuren, die seine aktuellen Holzobjekte auszeichnen. Hier geht es nicht um eine nuancierte Malerei, sondern, wie der Titel der Arbeit „Hollywood“ andeutet, um den effektvollen Auftritt, die große Geste zwischen Schein und Sein, Behauptung und Wirklichkeit.

Mit den jüngsten „Waldstücken“ vollzieht sich eine langsame Verschiebung der Aufmerksamkeit in Richtung einer Bereicherung und Differenzierung der Malerei. Die Verwendung verschiedener Farbtöne und das Einbringen von Silberpigmenten in die Malschichten steigern die Farbtiefe und die Sensibilität gegenüber einfallendem Licht.

Lange Zeit galten Malerei und Skulptur als unvereinbar. Das Dogma der Materialgerechtigkeit sah im Farbauftrag einen Verstoß gegen die Physikalität der Skulptur. Die Tendenz der Malerei, einen Bildraum zu evozieren, widersprach dem bildhauerischen Grundsatz, reale Volumen im Wirklichkeitsraum zu organisieren. Donald Judd beispielsweise, einer der Hauptvertreter der Minimal Art, ließ bei seinen dreidimensionalen Objekten Farbe nur als konsistenten Bestandteil des Materials gelten.

Längst ist der Diskurs der Avantgarde in den 60er Jahren über Reinheit und Reduktion der Form historisch. Dennoch oder gerade deswegen bietet er Anknüpfungspunkte für die zeitgenössische Kunst. Günther Holders künstlerische Arbeit bedient sich einer Rhetorik, die sich an die Formensprache der Minimal Art anlehnt, ohne deren Rigidität zu übernehmen. Seine Version einer Materialgerechtigkeit führt über die Visualisierung der Materialeigenschaften zur Malerei. Gerade weil ihn die Eigenschaften des Materials interessieren, weil er ihren Eigengesetzlichkeiten auf die Spur kommen will, verwendet er Farbe. Farbe ist für ihn nicht Selbstzweck, sondern dient der Verdeutlichung von Form und Struktur des Materials. Obwohl der Malerei eine immer größere Bedeutung im aktuellen Werk Holders zukommt, ist sie nie ohne die plastische Form als Träger denkbar. Im Gegensatz zur Leinwand, die lediglich Vorder- und Rückseite kennt, besitzt die Skulptur ein Innen, das sich auf der Oberfläche manifestiert.

 

Der mitunter fragwürdigen Suche nach immer neuen Formen setzt Holder die absichtslose Formwerdung natürlicher Prozesse entgegen. Gestalten ist für Holder ein Vorgang zwischen Machen und entstehen lassen. Es ist ein Dialog, den er mit dem vorgefundenem Material führt. Seine Sensibilität entlockt dem Material eine Selbstentäußerung, die über das rein Faktische hinausgeht. Narrativität und Referenzialität lässt Holder zu. Mehr noch: seine assoziativen und mehrdeutig auslegbaren Titel legen eine solche Lesart nahe. Seine Malerei stellt allerdings nichts dar und bildet nicht ab, sie versucht keinen Bildraum zu evozieren, sondern hat die Spuren, die sich im Holz abzeichnen, zum Thema.

 

Trotz der Hängung an der Wand und der malerischen Behandlung der Oberfläche sind Holders „Waldstücke“ vor allem raumgreifende Objekte, die im Verhältnis zur Wand, zum Raum, zur gesamten Umgebung neue Sinnzusammenhänge erschließen. Hier zeigt sich die bildhauerische Grundhaltung Holders, sein Gespür für Raum, Licht, Rhythmus und Volumen. Zwei Wandarbeiten – im Herz-Zentrum und in der Sparkasse Bad Krozingen – verdeutlichen auf unterschiedliche Weise eine gelungene Kontextualisierung seiner Holzobjekte. Die besondere Herausforderung einer ortsspezifischen Installation liegt in der Bewältigung einer vorgegebenen Raumsituation, die eigentlich nicht für die Präsentation zeitgenössischer Kunst ausgelegt ist.

In der Eingangshalle des Herz-Zentrums nimmt der Künstler den Schwung einer konkaven Wand zum Anlass, um den daran entlang gleitenden Blick mit einer mehrteiligen Arbeit zu rhythmisieren. Zwei übereinander gesetzte und ineinander verschobene horizontale Reihen bemalter Baumschnitte setzen die beiden flankierenden Durchgänge miteinander in Beziehung. Wie bei einem Reißverschluss verzahnen die einzelnen Elemente der Wandinstallation zwei gegenläufige Bewegungen und thematisieren damit den Raum als Übergangszone. Trotz ihrer Fragilität und Leichtigkeit gelingt es Holder durch die gleichmäßige Reihung der „Papillons“ der Wand und dem Raum Struktur und Halt zu geben. 

 

Eine ganz andere Lösung fand der Künstler für die Räumlichkeiten der Sparkasse Bad Krozingen. Eigens für die Empfangshalle der Bank entwarf er eine Installation, die auf die Farbgestaltung der Innenarchitektur Bezug nimmt. Bunt bemalte Holzsegmente verteilen sich wie krabbelnd ausschwärmende Käfer über die für den Betrachter nicht erreichbaren Wandzonen. Sie entziehen sich einem ordnenden und kontrollierenden Zugriff, scheinen eigenen Gesetzen zu gehorchen. Der Raum wird zum Spielfeld der entfesselten Objekte, der sich vom Bildgrund – der Wand – ablösenden Formen und Farben. Günther Holder gelingt es mit seinen Rauminszenierungen, die Balance zwischen autonomem Kunstwerk und ortsbezogener Installation zu halten. Sein subversiver Humor und sein geschicktes Spiel mit Referenzen und erzählerischen Strukturen lassen eine Vielzahl von Bedeutungsebenen aufscheinen, die die Komplexität seines künstlerischen Ansatzes deutlich machen.

 

Nikolaus Bischoff

Juni 2006

 

 

 

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